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Im Kapitel „Bestandsaufnahme > Allgemeines“ wird der neuartige Begriff des Wasserkörpers
gemäß Richtlinie 2000/60/EG - der Wasserrahmenrichtlinie - erläutert.
Wasserkörper ist ein Zentralbegriff der Wasserrahmenrichtlinie, denn er
zielt auf zwei wesentliche Gesichtspunkte der Richtlinie ab: die Typisierung
der Oberflächengewässer und die Einschätzung des Gewässerzustandes.
Nach Artikel 2 Nummer 10 der Richtlinie ist ein Oberflächenwasserkörper „ein einheitlicher und bedeutender Abschnitt eines Oberflächengewässers“, bei Fließgewässern also ein einheitlicher und bedeutender Fließgewässerabschnitt. Was aber heißt einheitlich und bedeutend? Die Wasserrahmenrichtlinie schweigt sich darüber vorderhand aus. Somit lässt sich der Sinngehalt beider Begriffe nur aus der allgemeinen Wortbedeutung und dem Kontext von Bestimmungen der Richtlinie ableiten, die von Oberflächenwasserkörpern handeln.
Oberflächenwasserkörper unterteilen sich nach Anhang II Nummer 1.1 der Richtlinie sinngemäß in zwei Gruppen:
Die Wasserrahmenrichtlinie verwendet den Begriff der nicht als erheblich verändert/künstlich ausgewiesenen Wasserkörper selbst nicht. Er wird hier der Verständlichkeit halber benutzt, um Wasserkörper, die weder erheblich verändert sind noch ausdrücklich als künstlich ausgewiesen werden, von den gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie als erheblich verändert oder als künstlich eingestuften Wasserkörpern abzugrenzen. Nicht als erheblich verändert/künstlich ausgewiesene Wasserkörper als natürliche Wasserkörper zu bezeichnen, wäre unrichtig, weil auch jeder als erheblich verändert ausgewiesene Wasserkörper ein natürlicher Wasserkörper ist. Ferner können ebenso ursprünglich künstlich angelegte Wasserkörper in die Gruppe der nicht als erheblich verändert/künstlich ausgewiesenen Wasserkörper fallen, sofern sie nicht ausdrücklich nach Artikel 4 Absatz 3 als künstlich eingestuft werden (zum Problem des künstlichen Wasserkörpers siehe das Kapitel „erheblich veränderte/künstliche Fließgewässerkörper“).
Die Gruppe der nicht als erheblich verändert/künstlich ausgewiesenen Wasserkörper gliedert sich nach Anhang II Nummer 1.1 i der Richtlinie in die vier Gewässerkategorien Fließgewässer (die Richtlinie spricht von Flüssen, gemeint sind auch Bäche, Wassergräben, Kanäle usw.), Standgewässer (die Richtlinie spricht von Seen, gemeint ist aber jede Art stehenden Gewässers), Übergangsgewässer und Küstengewässer. Die Gewässerkategorien unterteilen sich nach Nummer 1.1 ii wiederum in Typen. Die Typen gibt die Wasserrahmenrichtlinie selbst nicht vor, sondern sie formuliert statt dessen in Nummer 1.2 Maßgaben, nach denen sie herzuleiten sind (siehe das Kapitel „Fließgewässertypen“).
Die Gruppe der als erheblich verändert/künstlich ausgewiesenen
Wasserkörper erfährt keine eigene Unterteilung in Kategorien und Typen. Die
Wasserrahmenrichtlinie sieht in Nummer 1.1 v vor, dass solche Wasserkörper
dadurch beschrieben werden, dass man vergleichbare Kategorien (und Typen)
der nicht als erheblich verändert/künstlich ausgewiesenen Wasserkörper
heranzieht. |
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Nach Wasserrahmenrichtlinie ist die Zuordnung
eines Wasserkörpers zu einer der oben genannten Gruppen und
Gewässerkategorien und einem Typ bzw. einer vergleichbaren Gewässerkategorie
und einem vergleichbaren Typ zur Beschreibung des Wasserkörpers
offensichtlich unabdingbar. Vor dem Hintergrund der Anforderung der
Richtlinie, nach der ein Wasserkörper ein einheitlicher
Fließgewässerabschnitt ist, muss man folgern, dass ein Wasserkörper im Sinne
der Einheitlichkeit stets nur einer der Gewässergruppen, nur einer
Gewässerkategorie und nur einem Typ zugeordnet sein kann. Damit lassen sich
erste Grundsätze zur Bestimmung und Abgrenzung einheitlicher
Fließgewässerabschnitte als Wasserkörper ableiten:
Neben diesen Grundsätzen lässt sich aus der Wasserrahmenrichtlinie ein weiteres Abgrenzungskriterium hinsichtlich der Einheitlichkeit von Wasserkörpern ableiten:
Übergänge zwischen Gewässerzuständen lassen sich in der Natur selbstverständlich ebensowenig wie die Grenzen zwischen Gewässertypen, Gewässerkategorien oder auch den oben genannten Gewässergruppen als exakt verortbare Grenzlinie bestimmen. Bei den Grenzen handelt es sich stets um Setzungen, in die durchaus Praktikabilitätsaspekte hineinspielen können.
Ein Oberflächenwasserkörper soll aber nicht nur ein einheitlicher Abschnitt eines Oberflächengewässers sein, sondern auch ein bedeutender. Bedeutend sind Dinge nur im Hinblick auf irgendwelche Gesichtspunkte. Bei einer Sache, die eine räumliche oder linienmäßige Erstreckung hat, kann ein solcher Gesichtspunkt zu allererst die Größe sein. In diesem Sinne legt die mecklenburg-vorpommersche Wasserwirtschaftsverwaltung den Begriff „bedeutend“ in der Bestandsaufnahme aus. Es wird aber nicht in Abrede gestellt, dass sich der Begriff vielleicht auch auf andere Gesichtspunkte erstrecken könnte; in der Bestandsaufnahme erscheint es jedoch nicht sinnvoll, solche anderen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Denn die geringe Zeit, die die Wasserrahmenrichtlinie für die Bestandsaufnahme einräumt, lässt nur eine weitgehend schematische Einteilung der Wasserkörper zu. Hinreichende Kenntnisse, die eine individuell erwogene Abgrenzung eines Wasserkörpers ermöglichten, liegen derzeit in der Regel nicht vor. Dies gilt zum Beispiel für die Gewässertypisierung, die in der Bestandsaufnahme zum großen Teile nur auf der Grundlage von Kartenmaterial unternommen werden kann; für eine sorgfältige Typisierung ist eigentlich eine Inaugenscheinnahme vor Ort notwendig, wie sie erst in den Jahren nach der Bestandsaufnahme nach und nach erfolgen kann. Es ist deshalb anzunehmen, dass sich die Abgrenzung der Wasserkörper mit zunehmenden Erkenntnissen ohnehin ändern wird, und aus diesem Grunde wird der Aufwand der sicherlich nur vorläufigen Wasserkörperabgrenzung in der Bestandsaufnahme möglichst gering gehalten.
Bedeutend ist in der Bestandsaufnahme ein Fließgewässerabschnitt somit, wenn er eine bestimmte Größe hat. Als solche Mindestgröße und abschließendes Abgrenzungskriterium legt die mecklenburg-vorpommersche Wasserwirtschaftsverwaltung fest:
Wasserkörper können folglich nur an Fließgewässern ausgewiesen werden, deren Einzugsgebiet von Quelle zu Mündung mindestens 10 km² beträgt (WRRL-relevante Fließgewässer nach Kapitel „Bestandsaufnahme > Allgemeines“). Ein Wasserkörper kann einen Fließgewässerabschnitt, ein Fließgewässer im Ganzen oder mehrere zusammenhängende Fließgewässer oder Fließgewässerabschnitte umfassen. Grundsatz, nach dem sich letztlich die Größe eines Wasserkörpers bestimmt, ist, dass Wasserkörper nach Wasserrahmenrichtlinie Bewirtschaftungseinheiten darstellen und sie somit eine sinnvoll bewirtschaftbare Größe haben sollen.
Insbesondere auf längere als erheblich verändert oder künstlich auszuweisende Gewässerabschnitte mit einheitlichem Zustand können weitere Kriterien, Wasserkörper abzugrenzen, angewandt werden. So kann es sich anbieten, Wasserkörpergrenzen zum Beispiel an Schleusen oder Staubauwerken zu setzen, um so bewirtschaftbare Gewässereinheiten zu erhalten.
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Abgren- zungskrite- rien |
Wie erfolgt nun praktisch die Abgrenzung der
Fließgewässerkörper nach den oben aufgeführten Kriterien? Die
mecklenburg-vorpommersche Wasserwirtschaftsverwaltung bearbeitet die
Bestandsaufnahme (und alle weiteren Schritte der Umsetzung der
Wasserrahmenrichtlinie) grundsätzlich auf der Basis digitaler geographischer
Informationssysteme. Alle gesammelten Informationen werden als geographische
Informationen in das Informationssystem aufgenommen. So werden die für die
Wasserkörperabgrenzung erforderlichen Informationen, zum Beispiel die
Gewässertypen mit der längenmäßigen Erstreckung von Bereichen gleichen Typs,
als sogenannte Routen auf dem digitalen Gewässernetz ausgebildet. In
gleicher Weise werden Gütebänder, die zur Beurteilung der Auswirkungen von
Fließgewässerbelastungen (siehe das Kapitel „Auswirkungen
auf Fließgewässer“ und seine Unterkapitel) und zur Einschätzung des
Fließgewässerzustandes (siehe das Kapitel „Fließgewässerzustand“)
dienen, als Routen auf dem Gewässernetz erstellt. Zur Abgrenzung der
Wasserkörper überlagert - „verschneidet“ - man rechnergestützt diese
verschiedenen Routen, auf denen Bereiche einheitlicher Information
gekennzeichnet sind, und dabei pausen sich gleichsam die Grenzen dieser
Bereiche auf das Gewässernetz durch. Mit dieser Überlagerung der
Informationen zu Kategorien- und Typwechseln, zum Wechsel der Ausweisung als
erheblich verändert/künstlich und zum Gewässerzustand entstehen auf dem
Gewässernetz Abschnitte, die jeweils die ersten vier der aufgeführten
Abgrenzungskriterien erfüllen: Sie gehören zu einer Gewässerkategorie oder
sind erheblich verändert/künstlich, sie gehören zu einem Typ, und sie weisen
einen einheitlichen ökologischen und chemischen Zustand auf („eine
Kategorie“ - „ein Typ“ - „ein Zustand“). Anschließend werden die
entstandenen Gewässerabschnitte darauf geprüft, ob ihr Eigeneinzugsgebiet
mindestens 10 km² beträgt. Abschnitte mit Eigeneinzugsgebieten gleich oder
größer als 10 km² werden als Wasserkörper ausgewiesen; Abschnitte mit
Eigeneinzugsgebieten von weniger als 10 km² Größe werden benachbarten
Wasserkörpern zugeordnet. Damit entstehen im Nachgang zwar teilweise
Wasserkörper, die nicht mehr vollständig die Kriterien „eine Kategorie“ -
„ein Typ“ - „ein Zustand“ erfüllen, doch ist dies um der Schaffung
bewirtschaftbarer Einheiten willen unvermeidbar.
Im Folgenden sei das Vorgehen in der Bestandsaufnahme am Beispiel eines
Ausschnittes aus dem Einzugsgebiet der Westpeene veranschaulicht. Die
Westpeene gehört neben Ost- und Kleiner Peene zu den Hauptquellgewässern der
Peene, des größten Flusses Mecklenburg-Vorpommerns. Die bei Vollrathsruhe in
einem quellenreichen Torfbecken entspringende Westpeene tritt nach nur etwa
vier Kilometern Lauflänge in den Malchiner See ein, in den weitere
Fließgewässer wie der Mühlenbach, der Lupenbach und Gräben mit den
prosaischen Bezeichnungen L56, Z600 und 015 münden. Nachdem der etwa neun
Kilometer lange und zwei Kilometer breite Malchiner See durchflossen ist,
tritt die Westpeene an dessen Nordostecke in eine breite Torf- und
Wiesenniederung aus. Auf den kurz darauf abzweigenden Dahmer Kanal als
Hauptgewässer trifft die Westpeene erst kurz vor Malchin wieder. Im weiteren
Verlauf, der in der folgenden Karte nicht mehr dargestellt ist, mündet die
Ostpeene in den Kanal ein, der dann Peenekanal heißt.
Zur Ermittlung der Fließgewässerkörper sind zunächst die Grenzen der
Gewässerkategorien zu bestimmen. In dem Einzugsgebietsausschnitt kommen zwei
Kategorien bzw. zwei Arten von Kategorienwechseln vor: Fließgewässer, die in
ein Standgewässer münden, und ein Standgewässer, aus dem ein Fließgewässer
austritt. Die Kategorienwechsel liegen, mit schwarzen Balkensymbolen
markiert, auf den Fließgewässermündungen und dem Standgewässerausfluss. Mit
den Kategorienwechseln sind nach dem oben aufgeführten ersten
Abgrenzungskriterium zugleich Grenzen von Wasserkörpern bezeichnet.
Innerhalb der Kategorie Fließgewässer werden die Gewässerabschnitte gemäß
den Ausführungen des Kapitels „Fließgewässertypen“
typisiert. In dem Beispiel kommen die Typen 11 (organisch geprägter Bach),
14 (sandgeprägter Tieflandbach) und 21 (seeausflussgeprägtes Fließgewässer)
vor. Alle Fließgewässer ordnen sich einem Typ zu, lediglich der Graben 015
zeigt in seinem Unterlauf einen anderen Typ als im Oberlauf. Mit den
Typgrenzen, in der folgenden Karte mit schwarzen Balkensymbolen markiert,
sind nach dem oben aufgeführten zweiten Abgrenzungskriterium zugleich
Grenzen von Wasserkörpern bezeichnet.
Wie im Kapitel „erheblich
veränderte/künstliche Fließgewässerkörper“ erläutert, werden in der
Bestandsaufnahme Gewässerabschnitte vorläufig als erheblich
verändert/künstlich ausgewiesen, für die an Hand bestimmter Kenngrößen der
Fließgewässerstrukturgüte anzunehmen ist, dass sie dem Wesen eines
naturbelassenen Fließgewässers entfremdet sind. In dem vorliegenden Beispiel
trifft dies auf den Oberlauf des Lupenbaches und den Graben L790 zu. Die mit
schwarzen Balkensymbolen markierten Grenzen zwischen diesen vorläufig als
erheblich verändert/künstlich ausgewiesenen Gewässerabschnitten und den
übrigen Gewässerabschnitten bezeichnen nach dem oben aufgeführten dritten
Abgrenzungskriterium zugleich Grenzen von Wasserkörpern.
Schließlich wird in der Bestandsaufnahme an verschiedenen
Qualitätsparametern (siehe das Kapitel „Fließgewässerzustand“)
abgelesen, in welchem Zustand sich die Fließgewässer wahrscheinlich
befinden. In der folgenden Karte ist der wahrscheinliche ökologische Zustand
dargestellt (wahrscheinlich mindestens gut = grün, wahrscheinlich nicht gut
= orange). Außer dem Lauf der Westpeene bis zur Mündung in den Malchiner See
und der Fließstrecke unmittelbar nach Ausfluss aus dem See werden die
Fließgewässer als ökologisch wahrscheinlich nicht gut eingeschätzt. Der
chemische Zustand wird dagegen für alle Gewässer als wahrscheinlich gut
beurteilt. Nach dem Pessimismusprinzip ergibt dies insgesamt einen Zustand,
der dem schlechter eingestuften ökologischen Zustand entspricht. Die mit
schwarzen Balkensymbolen markierten Zustandsgrenzen bezeichnen nach dem oben
aufgeführten vierten Abgrenzungskriterium zugleich Grenzen von
Wasserkörpern.
Legt man alle Karten übereinander und paust die jeweiligen Grenzen durch,
erhält man die in der folgenden Karte dargestellten Gewässerabschnitte. Alle
Gewässerabschnitte erfüllen für sich die Anforderungen an Einheitlichkeit,
indem sie jeweils nur zu einer Gewässerkategorie, einem Typ und einem
Zustand gehören sowie entweder vorläufig als erheblich verändert/künstlich
ausgewiesen sind oder nicht. Zur Festlegung als Wasserkörper genügt dies
aber nicht. Wasserkörper sollen darüber hinaus bedeutende
Gewässerabschnitte sein. Nach dem fünften Abgrenzungskriterium haben sie ein
Eigeneinzugsgebiet von mindestens 10 km² aufzuweisen. Dieses Kriterium
erfüllt der eingekreiste Abschnitt im Unterlauf des Grabens 015 mit knapp
3,4 km² bei weitem nicht. Aus diesem Grunde wird dieser Abschnitt dem
Abschnitt des Oberlaufes zugeordnet und bildet mit ihm einen Wasserkörper.
Alle Wasserkörper werden in dem digitalen geographischen
Informationssystem mit einer eindeutigen Kennummer geführt. Wasserkörper
müssen nicht nur ein Fließgewässer oder Teilstrecken eines Fließgewässers
umfassen, sie können sich auch aus mehreren Fließgewässern zusammensetzen,
wenn sich dies aus Praktikabilitätsgründen anbietet, die Fließgewässer oder
Fließgewässerstrecken hydrologisch zusammenhängen und sie entsprechend den
Abgrenzungskriterien den gleichen Typ und Zustand aufweisen sowie
einheitlich entweder als erheblich verändert/künstlich ausgewiesen sind oder
nicht. In dem vorliegenden Beispiel trifft dies auf den Graben L49
(eingekreist) zu, der in den Mühlenbach mündet und mit ihm zusammen den
Wasserkörper OPEE-3300 bildet.
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praktisches Vorgehen |
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